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Die nationale Kampagne “Giù Le Mani Dai Bambini”® (Hände weg von den Kindern) hat die Unterzeichnung des “Internationalen Konsensus: ADHD und Missbrauch bei der Verschreibung von Psychopharmaka an Minderjährige” unter Fachleuten eingeleitet, um den Stand der Situation zu den kontrovers diskutierten Grundthemen festzustellen und den Betroffenen einen zuverlässigen Bezugsrahmen zu bieten. Personen, die qualifiziert sind, sich diesbezüglich zu äußern, können den Konsensus unterzeichnen, indem sie eine E-Mail an consensusadhd@giulemanidaibambini.org senden und ihre Einwilligung erteilen, dass ihr Name bei den Unterzeichnern genannt wird. Dabei geben sie möglichst auch die akademischen bzw. sonstigen Titel an, die dem Namen hinzuzusetzen sind, und eventuelle Internetadressen, die zu Biographien, Visitenkarten oder persönlichen Seiten führen. Den Aufruf können auch Vereine und Schulen unterzeichnen, die sich mit der mentalen Gesundheit beschäftigen. Das Organisationssekretariat behält sch vor, die Kongruenz der eingehenden Unterzeichnungsanträge zu überprüfen.”
Der Promoter Dott. Claudio Ajmone
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ADHS und Missbrauch bei der Verschreibung von Psychopharmaka an Minderjährige
(Januar 2005)
Einleitung
“Giù le mani dai bambini”® (Hände weg von den Kindern) ist die größte, je in Italien organisierte Aktion zur Verteidigung des Rechts auf Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und im Vergleich zu ähnlichen Initiativen in Europa zurzeit diejenige, die am schnellsten wächst. Ihr Ziel ist, die Bevölkerung (Lehrer, Eltern, die Jugendlichen selbst usw.) umfassend und korrekt über den Missbrauch bei der Verabreichung von Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche zu informieren, denn mit über 11 Millionen Kindern, die allein in den USA von Amphetaminen abhängig sind, handelt es sich längst um einen wirklichen Notstand im Gesundheitswesen, der auch nach Italien importiert wird. (Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Website www.giulemanidaibambini.org ).
Die Initiative steht unter der Schirmherrschaft des Staatlichen Rundfunks RAI – Radio Televisione Italiana. Sie wird vom Netzwerk der Krankenhausvolontäre gefördert, das Vereine und Stellen, in denen über 6 Millionen Italiener vertreten sind, in einem Ausschuss vereint. Berühmte Persönlichkeiten aus Unterhaltung und Wissenschaft schlossen sich dem Aufruf an: Ray Charles, (der kürzlich verstarb) Beppe Grillo und viele andere, die im Abschnitt Testimonial auf unserer Website aufgeführt sind. Die Initiative berief einen qualifizierten Wissenschaftsausschuss und leitete zu ihrer Verbreitung eine lange Reihe von Maßnahmen im ganzen Land ein.
Die Initiative ist gemeinnützig, überparteilich und nicht konfessionsgebunden. Das Informationsportal im Internet, das von unseren ehrenamtlichen Mitarbeitern verwaltet wird, ist derzeit das umfangreichste und ausführlichste, das in Italien zu diesen Themen zur Verfügung steht. Das Syndrom mit der Bezeichnung “Aufmerksamkeitsdefizit und/oder Hyperaktivitätsstörung” (ADHS)(in der Schweiz bekannt unter ADHS, Anm. d. Red.) ist Gegenstand einer beeindruckenden Zahl von experimentellen Untersuchungen und wissenschaftlichen Studien. Die Störung wird bis heute vorwiegend medikamentös behandelt (Aufputschmittel, überwiegend auf der Basis von Amphetaminen), in viel geringerem Ausmass finden Behandlungen im Rahmen der klinischen Pädagogik, der Psychotherapie und im Rahmen von sozialen Maßnahmen statt.
Die finanziellen Ressourcen wurden im Wesentlichen auf die Forschung konzentriert, – die zum grossen Teil nicht unabhängig ist, da sie mit Kapital der Hersteller (der Psychopharmaka, Anm. d. Red.) selbst finanziert wird – die darauf abzielt, die angeblich biologischen Ursachen der Störung sowie die Wirkung der medikamentösen Maßnahmen zu ermitteln. Untersuchungen zu den psychologisch und gesellschaftlich bedingten Ursachen sowie den pädagogischen, psychotherapeutischen und sozialen Interventionen werden vernachlässigt.
Die verwendeten Versuchsmethoden und die Ergebnisse waren Gegenstand lebhafter Debatten und heißer Kontroversen seitens der Fachleute, in den letzten Jahren auch in den Medien und in der Öffentlichkeit. Die Probleme sind bis heute ungelöst. Die Aufmerksamkeit und das Fehlen von Problemen emotionaler Art sind die grundlegenden Voraussetzungen für jede Art des Lernens. Im Gegensatz dazu bedeutet aber die Feststellung einer Pathologie der Aufmerksamkeit und der Aktivität, die das Lernen behindert, eine Festlegung, die dramatische Konsequenzen auf der persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Ebene hat.
Die Unterzeichner dieses Dokuments, namhafte Fachleute im klinischen und experimentellen Bereich, bemühen sich, mit intellektueller Aufrichtigkeit und professioneller Kompetenz den gegenwärtigen Stand der Forschung festzuhalten. Sie möchten auch jüngeren, bzw. weniger bekannten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, sowie vergangenen und gegenwärtigen akademischen Debatten Rechnung tragen, um so für ein sehr bedeutsames Thema im Bereich des Rechts auf Gesundheit von Minderjährigen, das die wissenschaftliche Gemeinschaft und die gesamte Zivilgesellschaft betrifft, Klarheit zu schaffen. Dabei wollen sie eine ethisch korrektere Herangehensweise an dieses Problem anregen, das seit einem halben Jahrhundert häufig unfruchtbaren Methoden zum Opfer fällt.
ADHS als Krankheit
Es hat sich in der Praxis etabliert, ADHS – im Hinblick auf die primäre Kausalität – als “genetisch bestimmte Krankheit” zu definieren. Die psychosozialen Ursachen werden dabei auf “geringere Mitursachen”, wenn nicht gar auf einfaches “Lackmuspapier” reduziert, die nur das zum Vorschein bringen können, was bereits auf genetischer Ebene bestimmt ist, und die weder Zeitpunkt noch Art des Auftretens der Symptome beeinflussen können. Diesbezüglich muss betont werden, dass die direkte Kausalität von einem Gen oder einem Genpool bisher experimentell noch nicht bewiesen ist und dass bisher kein biologischer Marker (Phänotyp) mit Sicherheit identifiziert ist.
Der Grossteil der Forschungen an ein- und zweieiigen Zwillingen und an Geschwistern ist fehlerhaft aufgrund der nicht bewiesenen Annahme, dass die Umgebung, in der die Kinder aufwuchsen, immer gleich sei. Dies ist faktisch unmöglich. Zudem sind die Ergebnisse solcher Untersuchungen von der Tatsache beeinträchtigt, dass die Gene die Proteinsynthese lenken, die wiederum von Umgebungsfaktoren wie Stress, Traumata, Mangel an elterlicher Zuwendung beeinflusst sind.
Das Auftreten dieser Art von Störung in den Stammbäumen ist per se kein wissenschaftlich akzeptabler Beweis für die genetische Herkunft von ADHS. Schon die Variablen “Lernen durch Imitation” und “Lernen durch Konditionierung”, deren starke Auswirkungen auf die Ausbildung von Verhaltensweisen seit fast einem Jahrhundert experimentell ohne jeden Zweifel von der Lehre des Behaviorismus bewiesen sind, wurden nicht gebührend berücksichtigt.
In Bezug auf die jüngste und glaubhafte Untersuchung aus der Schule der organischen Psychiatrie «F. Xavier Castellanos et al., Developmental Trajectories of Brain Volume Abnormalities in Children and Adolescents With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder, Journal of the American Medical Association (JAMA 2002;288:1740-1748)», heben wir hervor, dass Castellanos in einem Interview mit FRONTLINE vom 10. Oktober 2000, auf die Frage des Interviewers:
«Stehen wir kurz vor der Identifizierung eines biologischen Markers für ADHS?”» antwortet:
«Ich weiß es nicht, ich denke nicht, dass wir es wissen, bevor wir ihn nicht finden… wir würden gern einen biologischen Marker finden, wir würden gern eine objektive Bestätigung finden, irgend etwas, das uns bestätigt, wie viel wir von der Funktionsweise von ADHS verstanden haben. Das Problem ist, dass wir im Dunkeln tappen und nicht wissen, wohin uns die Suche führt. Meiner persönlichen Meinung nach werden wir noch die nächsten 3 bis 5 Jahre im Dunkeln tappen »
Die These der Krankheit bleibt damit eine reine Hypothese, und die Verwendung von Begriffen wie «Krankheit» und «Geisteskrankheit» ist daher beim heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht legitim. ADHS ist im besten Falle die Bezeichnung für eine Reihe von disfunktionalen Verhaltensweisen, was zu wenig ist, um eine Krankheit zu identifizieren. Die unzureichende Definition dieser symptomatischen Verhaltensweisen machen es vom Standpunkt der Vorgehensweise aus sogar unmöglich, ADHS klar als Psychopathologie zu bezeichnen. Auf der Basis der derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse läuft die Diagnose von ADHS Gefahr, aus vorwiegend wirtschaftlichen Motiven gestützt zu werden und nicht auf das reale Wohl des Kindes abzuzielen.
Das diagnostische Verfahren von ADHS
Ausgehend von den Ausführungen, die ADHS als Krankheit beschreiben, ist die Diagnostik entsprechend unzureichend. Das Diagnosehandbuch der APA bemerkt in DSM IV:
Für «Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung … gibt es keine Labortests, die als Diagnoseverfahren bestätigt sind.»
Im Dokument «2000 American Academy of Pediatrics Annual Meeting Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Current Diagnosis and Treatment, Mark L. Wolraich, MD», wird betont:
«Die Diagnose von ADHS bleibt an begrenzte diagnostische Kriterien gebunden. Die Diagnose stützt sich auf die Beobachtung des Verhaltens der Kinder von verschiedenen Seiten, in erster Linie Eltern und Lehrer, die häufig voneinander abweichen und über kein klares Konzept verfügen, um diese Abweichungen zu lösen. Eine der Ursachen für die Diskrepanz ist die Tatsache, dass die Verhaltensweisen von der Umgebung beeinflusst sind. Die Schulklasse könnte also andere als die zu Hause beobachteten Verhaltensweisen hervorrufen, außerdem sind die Berichte der Beobachtungen häufig subjektiv, da keine spezifischen Kompetenzen für die Verhaltensbeobachtung vorliegen und die Beobachter ihre persönliche Urteilsmethode anwenden müssen. Ausserdem werden die Kriterien unabhängig von Alter und Entwicklungsstand angesetzt, während das Verhalten der Kinder sich tatsächlich auch mit ihrem Entwicklungsstand ändert. »
Wenn man die Kommentare zu experimentellen Untersuchungen analysiert, mit denen die Fachleute die Aufmerksamkeit- und Hyperaktivitätsschwelle bestimmen, ergeben sich Daten, die uns veranlassen, unsere Überzeugungen zu überdenken. Es zeigt sich, dass die Kinder in der Lage sind, den ihnen angenehmen Aufgaben, Aufmerksamkeit zu widmen, während sie bei anspruchsvollen Aufgaben, die in ihrer Wahrnehmung «weniger angenehm» sind, nicht dazu in der Lage sind. Es handelt sich daher um einen “Aufmerksamkeitsmangel in einem Kontext geringer Motivation” oder um «Lernangst», sowie um «hyperaktive Verhaltensweisen» in einem psychopathologischen familiären Kontext.
Es scheint zumindest fragwürdig, all dies als eine Krankheit biologischer Art zu bezeichnen, da offensichtlich persönliche und soziale Faktoren verschiedener Art beteiligt sind, die bis heute von der wissenschaftlichen Forschung größtenteils vernachlässigt wurden. Bei Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität wäre es notwendig, ein seriöses, standardisiertes medizinisches Screening und eine gründliche Analyse der sozialen Beziehungen der kleinen Patienten, ihrer realen schulischen Lernfähigkeit und vieler anderen Faktoren durchzuführen, die Ursachen für das auffällige Verhalten des Kindes sein könnten. Man kommt daher zur Schlussfolgerung, dass die Diagnostik (bezüglich. ADHS, Anm. d. Red.) bis heute jeder wissenschaftlichen Legitimierung entbehrt, und keine sichere Diagnose jenseits aller vernünftigen Zweifel zulässt.
Die pharmakologische Therapie und ihre Auswirkungen
Die Behandlung einer Krankheit ist ein therapeutisches Verfahren, das ihre Ursachen behebt und so zur Heilung führt. Die Linderung und Beseitigung der Symptome mögen zwar wichtig sein, qualifizieren aber eine therapeutische Maßnahme nicht als Behandlung. Sowohl die Behandlung als auch die symptomatische Therapie müssen in jedem Fall die Wahrung der menschlichen Würde und der psychophysischen Integrität garantieren, eine Bedingung, die der Großteil der derzeit handelsüblichen Psychopharmaka nicht garantiert. Es besteht kein Zweifel, dass diese pharmazeutischen Produkte Nebenwirkungen haben, auch schwere, die bis zum Tod des Patienten führen können.
Ihre Wirkung zeigt sich in der Unterdrückung der Symptome bei regelmäßiger Einnahme des Medikaments. Wird die medikamentöse Behandlung unterbrochen, treten die Symptome wieder auf. Aus diesem Grund ist eine langfristige Verabreichung notwendig, auch wenn Fachärzte und manchmal sogar die Herstellerfirmen selbst davon abraten.
In einem Dokument von Dezember 1999 «Long-Term Effects of Stimulant Medications on the Brain» erklärt das NIMH (National Institute of Mental Health):
«Stimulantia unterdrücken die Symptome von ADHS, behandeln aber die Störung nicht, und das führt dazu, dass Kinder, die mit ADHS etikettiert wurden, häufig über viele Jahre mit Stimulantia behandelt werden.»
Die Therapie mit pharmazeutischen Produkten verbessert die schulischen Leistungen der Kinder an sich keineswegs, denn Aufmerksamkeit allein genügt nicht, um komplexe Lernprozesse zu erklären. Professor Cesare Cornoldi, Ordinarius für Psychologie an der Universität Padua, bestätigt in Bezug auf die Verschreibung von Methylphenidat (Ritalin):
«Es sollte also daran erinnert werden, dass man positive Auswirkungen bei der Kontrolle der Impulsivität, der Hyperaktivität und der Aufmerksamkeit für die Verabreichungsdauer des Medikaments verzeichnen kann; die Störungen im Lernen, im Betragen und die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion erfordern dagegen Maßnahmen anderer Natur. Üblicherweise ist die medikamentöse Behandlung langwierig, denn wenn die Einnahme des Medikaments unterbrochen wird – und keine Maßnahmen psychologischer und pädagogisch-didaktischer Art erfolgen – neigt das Kind nach kurzer Zeit wieder zu den gleichen Symptomen.» (Cesare Cornoldi, Iperattività e autoregolazione cognitiva, Erickson, 2001, S. 188).
1993 beauftragte das US-amerikanische Bildungsministerium James M. Swanson, den Leiter des ADHS-Studienzentrums an der Universität Kalifornien, Irvine (UCI), bekannter Verfechter der biologischen These von ADHS und Befürworter des Einsatzes von Psychopharmaka bei Minderjährigen, mit einer Untersuchung, die den aktuellen Stand der Forschung in Bezug auf die Wirksamkeit von Ritalin erfassen sollte. Es wurden 300 Zeitschriften (9000 Artikel) untersucht, die einen Zeitraum von 55 Jahren abdeckten.
Die überaus enttäuschenden Ergebnisse waren Folgende:
1. Die langfristigen Vorteile wurden nicht experimentell überprüft.
2. Die kurzfristigen Vorteile der Stimulantia können nicht als dauerhafte Lösung für die chronischen Symptome von ADHS betrachtet werden.
3. Stimulantia können das Lernverhalten in einigen Fällen verbessern, in anderen aber auch schädigen.
4. In der gegenwärtigen Praxis können die verschriebenen Dosen zu hoch für die optimale Auswirkung auf das Lernen sein und ihre Wirkungsdauer zu kurz um die schulischen Leistungen zu beeinflussen.
5. Es gibt keine merklichen Auswirkungen auf die höheren geistigen Fähigkeiten und Prozesse. Eltern und Lehrer können keine signifikanten Verbesserungen beim Lernen, bei sportlichen oder sozialen Fähigkeiten oder dem Erlernen neuer Begriffe erwarten.
6. Es sind keine Verbesserungen bei den langfristigen Anpassungen festzustellen, Lehrer und Eltern dürfen in dieser Hinsicht keine Verbesserungen erwarten.
(Aus “ Talking Back To Ritalin ”, 2001, Peter R. Breggin)
Man kann daraus also schließen, dass Psychopharmaka weder die schulische Lernfähigkeit verbessern, noch die vermeintliche Krankheit ADHS heilen, sondern vielmehr auf die Symptome wirken und damit eine bessere soziale Akzeptanz der Kinder durch die Erwachsenen ermöglichen. Wenig Aufmerksamkeit wurde der Erforschung von psychopathologischen Auswirkungen gewidmet, die medikamentöse Behandlungen auf Kinder haben. Und auch Wirkstoffe, die als „Neuheit“ gehandelt werden und anscheinend nicht die Nebenwirkungen aufweisen, die für Stimulantia beklagt werden, sind in Wirklichkeit banale “Neuauflagen” von Psychopharmaka, die in der Vergangenheit für ihre schädlichen Nebenwirkungen mittel- bis langfristig traurige Berühmtheit erlangten. Die Fälle, die in klinischer Hinsicht Aufmerksamkeit verdienen – eine unbedeutende Minderheit – sollten vorrangig mit Ansätzen pädagogischer Natur behandelt werden (traditionelle und klinische Pädagogik), für die auch in Italien eine systematische Erfassung in Form von Standardprotokollen für gezielte spezifische Maßnahmen im Gang ist.
Neuinterpretation der Daten
In den letzten Jahren sind zahlreiche Studien erschienen, die auf Korrelationen unterschiedlicher Art mit ADHS hinweisen. Es handelt sich um körperliche Erkrankungen, Reaktionen auf medizinische Therapien, verschiedene Arten von ungünstigen Umwelt- oder Schwangerschaftsbedingungen, psychische Erkrankungen, die alle die Symptomatik von ADHS aufweisen können, weil sie die gleichen diagnostischen Kriterien erfüllen. Die Nosographie (Krankheitsbeschreibung, Anm. d. Red.) von ADHS führt in der Tat dazu, Ärzte in die Irre zu leiten, die es dann unterlassen, diese wirklichen Ursachen zu ermitteln, was möglicherweise zu einem bedeutsamen Schaden für die Gesundheit des Kindes führt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Schule still zu sitzen und aufmerksam zu sein, für alle Kinder ein Opfer bedeutet, das in unterschiedlicher Weise erfüllt wird, in Übereinstimmung mit der Gaußschen Kurve. Die Variabeln, die diese Unterschiede erklären können, sind so zahlreich, dass wir heute noch nicht in der Lage sind, sie auszuwerten und klinische Urteile darüber abzugeben.
Können alle diese Korrelationen, die sich jetzt erwiesen haben, als Ursachen interpretiert werden? Können wir von der Hypothese ausgehen, dass die Symptomatik von ADHS in Wirklichkeit eine unspezifische Konstellation von Symptomen ist, die auf ein Unbehagen der Person hindeutet und auf die verschiedensten Ursachen verweist?
Können wir die Krankheitsbeschreibung von ADHS mit seiner ideologischen Bürde abschaffen, so wie es vor Jahren mit der Homosexualität geschah (die ursprünglich, wie allen bekannt ist, ebenso wie ADHS als Geisteskrankheit klassifiziert wurde)?
Dies ist die wahre Herausforderung, vor der wir stehen: Eine Hypothese, die so viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdient, wie wir imstande sind aufzubringen, eine andere Art der Durchführung von Untersuchungen und ein ethisch neuer Ansatz für die Verwendung von Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen. Dieser muss stets von größter Vorsicht geprägt sein und Psychopharmaka als letztes Mittel in Extremfällen einsetzen, damit die möglichen Gefahren eines Missbrauchs, der sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch von maßgeblichen Informationsquellen in wiederholtem Masse belegt wurde, in breitem Maßstab verhütet und begrenzt werden kann.